Schmerz ist ein universelles Phänomen, das jeden Menschen betrifft. Dennoch erleben und äußern Männer und Frauen Schmerz unterschiedlich. Diese Unterschiede hängen nicht nur mit biologischen Faktoren zusammen, sondern auch mit psychologischen, sozialen und kulturellen Einflüssen. In diesem Beitrag erklären wir, wie Geschlecht, persönliche Selbstwirksamkeit und Sozialisation im Lebensverlauf unsere Schmerzerfahrungen prägen und welche Bedeutung dies für die medizinische Versorgung hat.
Was ist Schmerz?
Schmerz wird von der Internationalen Vereinigung zum Studium des Schmerzes (IASP) als „unangenehme sensorische und emotionale Erfahrung“ definiert, die mit tatsächlichem oder potenziellem Gewebeschaden verbunden ist. Schmerz ist jedoch mehr als ein rein biologischer Prozess. Er entsteht durch das Zusammenspiel von Zellen, Genen, physiologischen Mechanismen sowie psychologischen und sozialen Faktoren.
Unterschiede zwischen Männern und Frauen

Studien zeigen, dass Frauen eine niedrigere Schmerzschwelle haben und Schmerzen stärker wahrnehmen als Männer. Sie berichten auch häufiger über Schmerzen in mehreren Körperregionen. Männer hingegen zeigen oft eine höhere Schmerzresistenz, insbesondere bei körperlich herausfordernden Aufgaben. Diese Unterschiede werden nicht nur durch biologische Faktoren erklärt, sondern auch durch gesellschaftliche Erwartungen.
So werden Männer häufig dazu sozialisiert, Schmerzen zu ignorieren oder sich stoisch zu verhalten, während Frauen eher dazu ermutigt werden, über ihre Schmerzen zu sprechen und Hilfe zu suchen. Diese kulturellen Rollenbilder beeinflussen, wie Männer und Frauen mit Schmerzen umgehen und sie gegenüber medizinischem Personal ausdrücken.
Die Rolle der Selbstwirksamkeit
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die sogenannte Selbstwirksamkeit – das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Herausforderungen zu bewältigen. Menschen mit einer hohen Selbstwirksamkeit sind eher in der Lage, Schmerzen zu tolerieren und aktiv Strategien zur Schmerzbewältigung einzusetzen.
Interessanterweise zeigen Männer oft eine höhere körperliche Selbstwirksamkeit, was mit traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit wie Stärke und Durchhaltevermögen zusammenhängt. Frauen hingegen neigen dazu, ihre Schmerzen eher als Signal für Unterstützung zu nutzen, was weniger mit körperlicher, sondern mehr mit sozialer Selbstwirksamkeit zusammenhängt.
Sozialisation im Lebensverlauf
Die Art und Weise, wie Menschen Schmerz wahrnehmen und ausdrücken, wird bereits in der Kindheit geprägt. Jungen werden oft angehalten, ihre Gefühle nicht zu zeigen, während Mädchen eher dazu ermutigt werden, ihre Emotionen auszudrücken. Diese frühen Erfahrungen haben langfristige Auswirkungen auf das Verhalten und die Selbstwahrnehmung im Umgang mit Schmerzen.
Bedeutung für die medizinische Praxis

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Schmerzwahrnehmung und -äußerung haben erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung. Frauen berichten häufiger über Schmerzen, was dazu führen kann, dass ihre Beschwerden ernster genommen und besser behandelt werden. Männer hingegen äußern Schmerzen oft zurückhaltender, wodurch ihre Symptome möglicherweise unterschätzt werden.
Medizinisches Personal sollte daher sensibel für diese Unterschiede sein. Interventionsprogramme, die die Selbstwirksamkeit stärken, können dazu beitragen, dass sowohl Männer als auch Frauen besser mit Schmerzen umgehen können. Dies könnte etwa durch gezielte Aufklärung oder Unterstützung bei der Entwicklung von Bewältigungsstrategien geschehen.
Fazit
Schmerzen sind eine komplexe Erfahrung, die von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird. Geschlecht, Selbstwirksamkeit und Sozialisation spielen dabei eine wesentliche Rolle. Um eine gerechte und effektive Schmerzbehandlung zu gewährleisten, ist es entscheidend, diese Unterschiede zu verstehen und in der medizinischen Praxis zu berücksichtigen.
Die Erforschung von Schmerz aus biopsychosozialer Perspektive zeigt: Schmerz ist nicht nur eine körperliche Erfahrung, sondern auch ein Spiegel unserer Gesellschaft und Kultur.
Quelle
Miller, C. & Newton, S. E. (2006). Pain perception and expression: the influence of gender, personal self-efficacy, and lifespan socialization. Pain Management Nursing, 7(4), 148-152. https://doi.org/10.1016/j.pmn.2006.09.004
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